Lässt du andere Menschen zu oft über deine Grenzen gehen? Meine Gedanken zum Umgang mit deinen Grenzen und wie du sie wahren kannst.

Eine sehr lange Zeit in meinem Leben habe ich meine persönlichen Grenzen zwar wahrgenommen, Menschen aber dennoch über meine Grenzen hinweggehen lassen. Aus Angst vor Ablehnung habe ich es rückblickend betrachtet eine viel zu lange Zeit in Kauf genommen und mich dadurch selbst mehr und mehr verloren.

Kennst du dieses Gefühl? Dieses Gefühl in deinem Bauch, wenn du deine Grenzen wieder einmal nicht gewahrt hast? Diese leise, vielleicht auch wütende und laute Stimme deines Bauchgefühls, welche dir sagt: „Du handelst gerade entgegen dem, was sich für dich gut und richtig anfühlt und das fühlt sich gar nicht gut an!“ Und dann kommt da möglicherweise eine zweite Stimme, die sagt: „Ach, stell dich doch nicht so an, ist doch gar nicht so schlimm!“ Oder eine Stimme, die sagt: „Du musst das tun, damit du nicht abgelehnt und gemocht wirst und den anderen Menschen nicht verlierst!“ Solche inneren Dialoge hatte ich unendlich viele Male, bis ich mich eines Tages so sehr verloren habe, dass ich etwas dagegen unternehmen musste. Den mein Leidensdruck wurde zu groß. Und erst als ich dann ganz tief gegangen bin, tief hinab in den ganzen Schlamm der Vergangenheit und wirklich aufgeräumt habe, durfte sich etwas verändern. Ich habe diese Muster analysiert, Verbindungen zu meiner Kindheit, negativen Glaubenssätzen und unverarbeiteten Themen zugelassen und mich dadurch in einen Prozess der Heilung begeben. Dieser Prozess ist aus meiner Sicht niemals vollständig abgeschlossen, da immer wieder Momente in meinem Leben auftauchen, die mich darin üben lassen, meine Grenzen zu wahren. Mit viel Liebe für mich selbst und Verständnis für mein Handeln stehe ich heute hier und bin dennoch weit weg von perfekt. Denn ja, es gibt Situationen und Momente, die mich noch immer triggern oder alte Verhaltensmuster in mir hervorrufen. Diese Situationen werden zwar weniger, aber sie klopfen ab und zu noch an. Aber ich habe aufgehört, mich dafür zu verurteilen. Ich nehme diese Situationen – meist mit Liebe (manchmal gelingt mir auch das nicht) – an, um an ihnen zu wachsen. Um mich noch besser kennenzulernen. Um noch tiefer zu gehen.

Da mich Grenzen mein Leben lang begleitet haben und auf eine Art und Weise wohl auch für immer begleiten werden, ist es mir ein großes Anliegen, heute diesen sehr persönlichen und wie immer schonungslos ehrlichen Artikel zu verfassen und dich auf deinem Weg zu begleiten. Auf deinem Weg zu mehr Selbstliebe, radikaler Akzeptanz und dahin, deine Grenzen wahrzunehmen, ernst zu nehmen und dich darin zu üben, Grenzen zu setzen. Keine Angst mehr davor zu haben, „nein“ zu sagen, anstatt „ja“ und tief in deinem Herzen das „nein“ dennoch zu fühlen. Denn dann handelst du gegen dich selbst und gegen deine innere Stimme.  

Das Thema mit den Grenzen ist ein sehr komplexes und ich werde diesen Artikel daher in drei Teile gliedern. Im ersten Teil geht es darum, zu analysieren, warum wir Menschen über unsere Grenzen gehen lassen. Der zweite Teil legt den Fokus darauf, dir deiner Grenzen bewusst zu werden. Ich werde dir Reflexionsfragen zur Hand geben, mit deren Hilfe du hinterfragen kannst, ob du deine Grenzen kennst und diese wahrst. Der dritte Teil besteht aus praktischen Tipps, wie du es schaffen kannst, deine Grenzen zu setzen, diese zu wahren und dich dadurch selbst zu stärken.  

Teil 1:

Die erste Frage, als ich mich intensiv mit meinen Grenzen und der Tatsache, dass ich andere Menschen ständig darüber hinweggehen lasse, auseinandergesetzt habe, war: Warum nehme ich mich selbst so wenig ernst und bin mir so wenig wert, dass ich das ständig zulasse? Denn offensichtlich tut es mir nicht gut und schadet mir. Es schwächt mich und vor allem schwächt es mein Selbstwertgefühl. Ich habe in zahlreichen Situationen Menschen in meinem Leben mehr Macht über mich gegeben, und Dinge zugelassen, die ich nicht wollte. Kennst du das auch?

Warum lässt du andere ständig über deine Grenzen gehen?

Es gibt tatsächlich zahlreiche verschiedene Gründe, warum das so ist. Möglicherweise hast du in deiner Kindheit nicht gelernt, dass es vollkommen in Ordnung ist, auch mal „nein“ zu sagen. Dadurch hast du das Gefühl für deine eigenen Grenzen verloren und lebst dieses als Kind antrainierte Verhalten bis ins Erwachsenenalter. Doch als Erwachsener spürst du mehr und mehr, dass es dir nicht guttut, dir schadet und du deine eigene Stimme dadurch übergehst. Du gerätst in einen Strudel aus Verzweiflung und dein Leben fühlt sich fremdbestimmt an.

Ein weiterer Grund kann in der Angst vor Ablehnung begründet sein. Du möchtest von Anderen gemocht werden und bist dafür bereit, ständig „ja“ zu sagen und (fast) alles zu tun, um es Anderen recht zu machen. Doch auch hierbei vergisst du eine Person – und zwar dich selbst. Durch dieses Verhalten verletzt du dich selbst, fügst dir selbst Schaden zu und zahlst dafür einen hohen Preis.

Eine weitere Begründung könnte auch sein, dass du den Glaubenssatz in dir trägst, etwas leisten zu müssen, um geliebt zu werden. Aus diesem Glaubenssatz kann ebenfalls eine direkte Verbindung resultieren, dass du Andere über deine Grenzen gehen lässt.

Bei all diesen beschriebenen Möglichkeiten (die Aufzählung ist nicht abschließend) gerätst du in eine Abhängigkeit von der Außenwelt. Dabei verlierst du dich mehr und mehr selbst.

Teil 2:

Die nachfolgenden Fragen zur Selbstreflexion können dir dabei helfen, deine eigenen Grenzen zu erkennen und dir diese bewusst zu machen.
  • Welche deiner Bedürfnisse sind dir so wichtig, dass deren Missachtung eine Grenzüberschreitung für dich bedeutet?
  • Welches Verhalten anderer Menschen verletzt dich?
  • Was ist für dich nicht in Ordnung?
  • Was muss jemand tun, um deine Grenzen zu überschreiten?
  • Was bist du nicht länger bereit zu tolerieren?
  • Wann hast du dich das letzte Mal im Kontakt zu einem anderen Menschen schlecht gefühlt und welche deiner Grenzen wurde da eventuell überschritten?
  • Wann und wo erlaubst du anderen Menschen, auch nahe an dich heranzukommen?
  • Wer darf in welcher Situation Dinge tun, die andere nicht dürfen?
  • Welchen Menschen erlaubst du was? (Von wem nimmst du beispielsweise Kritik an und von wem eher nicht?)
  • Woran erkennst du, dass du deine Grenzen überschritten hast / über deine Kräfte gegangen bist?
  • Wie könntest du deine Grenzen bereits vor Erreichen erkennen?

Mit diesen Fragen kannst du herausfinden, wo deine Grenzen liegen. Denn nur wenn du dir darüber bewusst bist, kannst du deine Grenzen auch wahren.

Teil 3:

Leider weiß ich aus Erfahrung, dass es nicht ausreicht, die eigenen Grenzen zu kennen. Du musst dir selbst auch erlauben, diese Grenzen einzufordern. Denn Jeder von uns hat ein Recht darauf, die eigenen Grenzen zu wahren und zu verteidigen – du. Und ich auch. Wir alle.

Ich habe ein paar praktische Übungen für dich, um dich dabei zu unterstützen und dich zu bestärken, deine Grenzen zu wahren. Und dadurch zu erleben, wie unglaublich stark es dich macht. Hab Vertrauen!

Übung: Wann hast du „Ja“ gesagt, als du „Nein“ sagen wolltest?

Erinnere dich an Situationen, in denen für dich eine Grenze überschritten wurde. Erinnerst du dich an einen oder mehrere Momente, in denen du „Ja“ gesagt hast, als du eigentlich „Nein“ sagen wolltest?

Ich habe „Ja“ statt „Nein“ gesagt, als:
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Frage dich jetzt mal ganz schonungslos offen und ehrlich, warum du das Gefühl hast, nicht „Nein“ sagen zu können bzw. warum es dir so schwerfällt, „Nein“ zu sagen.

Ich kann in der Situation nicht „Nein“ sagen, weil:
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Und dann frage dich, was passieren könnte, wenn du „Nein“ sagen würdest? Was ist das Szenario, das im schlimmsten aller Fälle eintreten könnte?

Vielleicht machst du jeden Abend Überstunden – fühlst dich aber nicht gut dabei – und wahrst deine Grenzen daher nicht. Stell dir vor, du rufst deine/n Vorgesetzte/n an und erklärst freundlich aber bestimmt, dass du nicht mehr bereit dazu bist. Was würde dann passieren? Hast du den Mut, dich und dein persönliches Wohlbefinden an erste Stelle zu setzen? Vielleicht fühlt sich das jetzt für dich wie ein Katastrophenszenario an, aber lasse es zu, ernsthaft darüber nachzudenken, denn es ist dein Leben und du hast nur eines.

Was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn ich „Nein“ sage?
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Wenn es passiert, wie gehe ich damit um?
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Wenn du die Frage nach dem Worst-Case-Szenario beantwortest, wird dir bewusst, dass es fast immer eine Lösung gibt. Es geht darum, ein für dich vielleicht zu Beginn noch großes und unkalkulierbares Risiko einzugehen, in deinen negativen Glaubenssätzen bestätigt zu werden, wenn du beginnst Grenzen zu setzen. Aber du wirst schnell merken, dass es sich lohnt, dass positive Resultate eintreten, dir mehr Respekt entgegengebracht wird, du dich und dein Selbstwertgefühl stärkst und weniger abhängig vom Außen bist. Zu Beginn wird es sich noch ungewohnt anfühlen und mit Angst behaftet sein. Dann geht es zunächst darum, diese vermeintliche Ungewissheit auszuhalten. Aber du schaffst das – mit der Zeit wird es leichter und leichter. Das verspreche ich dir!

Übung: Mit Grenzen gehen

Mach dich fertig für einen Spaziergang und los geht’s:

  1. Bevor du aufbrichst, schalte dein Handy aus oder in den Flugmodus.
  2. Schließe zu Beginn deines Spaziergangs einen Moment die Augen und konzentriere dich auf das, was du um dich herum hörst. Wiederhole das so oft du möchtest und bemühe dich, jedes Mal noch genauer hinzuhören. Schenke dir drei ganz bewusste und tiefe Atemzüge und verbinde dich mit deinem Herzen.
  3. Dann gehe los, Schritt für Schritt. Lasse dir Zeit und achte ganz detailliert auf das, was du siehst und wahrnimmst. Wenn du bei deinem Spaziergang beispielsweise einen Baum siehst, nimm diesen Baum ganz bewusst wahr. So als würdest du das erste Mal in deinem Leben einen Baum sehen. Erinnert dich der Baum an etwas? Welche Assoziationen kommen dir als erstes in den Sinn?
  4. Erlaube deinen Gedanken Raum zu geben, lasse innerlich mit jedem Atemzug mehr und mehr los und beobachte, wohin dein Unterbewusstsein sich bewegt.
  5. Wenn du eine Bank siehst und dein Körper nach einer Pause verlangt, vertraue deiner Intuition und deinem ersten Impuls. Setze dich für einen Moment auf die Bank und lasse deine Gedanken weiter schweifen. Gib dir die Erlaubnis, deinen Gedanken Raum und Zeit zu geben, Dinge zu verarbeiten. Auch wenn dein Geist beginnen sollte, über deinen Job nachzudenken, wird die Tatsache, dass du weder deinen Seh- noch deinen Hörsinn überstimulierst, dazu beitragen, diese Gedanken effizienter zu verarbeiten.
  6. Wenn du bei deinem Spaziergang Jemandem begegnest, der deine Aufmerksamkeit erregt, stelle bewusst eine Verbindung zu dieser Person her, suche Blickkontakt oder lächle. Beobachte, wie du dich damit fühlst. Beobachte, ob du hier bereits über deine Grenzen gehst und was das mit dir macht. Nimm deine Gefühle und Gedanken in diesem Moment wahr, ohne sie zu bewerten.
  7. Während des gesamten Spaziergangs, komme immer und immer wieder ganz bewusst und achtsam zu dir zurück. Nimm deine eigenen Körpergrenzen wahr. Nimm dein bewusst gewähltes Bedürfnis nach Nähe oder Distanz wahr.

Diese praktischen Übungen haben mir auf meinem Weg, meine Grenzen zu wahren sehr geholfen und helfen mir auch heute noch dabei. Ich hoffe, sie helfen auch dir auf deinem Weg zu mehr Selbstliebe und Eigenverantwortung. Nimm deine Grenzen an, erkenne und umarme sie ganz liebevoll. Es wird dir ganz bestimmt guttun und dich (be-)stärken, deiner inneren Stimme mehr Raum zu geben!

Ich freue mich über dein Feedback und einen Austausch mit dir!

Deine Nadine Patrizia

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