Warum Psychologische Sicherheit kein „Feel-Good-Thema“ ist

Warum Psychologische Sicherheit kein „Feel-Good-Thema“ ist

In meiner jahrelangen Arbeit mit Teams und Führungskräften bekomme ich oft die Frage gestellt, was eine gute Führungskraft ausmacht? Einer guten Führungskraft gelingt es, ein Umfeld zu schaffen, in dem Menschen sich ihrer selbst sicher fühlen und keine Angst vor negativen Konsequenzen haben, wenn sie sich vulnerabel zeigen. Und eine richtig gute Führungskraft macht sich selbst auch mal „nackig“ – natürlich auf der emotionalen Ebene. Denn das schafft einen Raum von Sicherheit – und das macht ganze Teams wiederum ziemlich erfolgreich.

Praxisfall

An dieser Stelle möchte ich von einem Fall aus meiner Praxis berichten, der mich sehr berührt hat. Im Rahmen einer Teamentwicklung habe ich ein HR-Team begleitet, deren Führungskraft mir sagte, dass sie das Gefühl habe, ihr Team traut sich nicht so richtig, sich ihr gegenüber zu öffnen. Ich fragte sie, „öffnest du dich denn deinem Team gegenüber?“ Die Führungskraft verneinte und beschloss, das bei nächster Gelegenheit zu ändern. Im darauffolgenden Workshop, welcher in einer abgelegenen Berghütte an einem wunderschön gelegenen Bergsee stattfand, stellte sie sich zum Start in die beiden Workshop-Tage vor ihr Team und zeigte sich von ihrer vulnerabelsten Seite. Sie berichtete von ihrer Krebserkrankung, die nur sehr langsam fortschritt, allerdings nicht heilbar war. Sie berichtete davon, wie sehr sie ihren Job liebt und dass Arbeit dennoch nicht alles sei, was im Leben zählt. Ihre Geschichte berührte nicht nur mich, sondern das gesamte Team auf eine tiefe Art und Weise.

Danach kam das Team an die Reihe und Jeder sprach über eine persönliche Erfahrung im eigenen Leben – ohne Zwang, etwas erzählen zu müssen, allerdings mit der Freiheit, alles erzählen zu dürfen. Und so kamen sich die Teammitglieder näher und lernten sich auf einer ganz anderen Ebene kennen. Es gab zahlreiche „Aha-Momente“ und das gegenseitige Verständnis wuchs.

Es hätte keinen gelungeneren Start in einen 2-Tages-Workshop geben können. Das Team ist ab diesem Moment wirklich zusammengewachsen und wurde nachweislich erfolgreicher.

Psychologische Sicherheit ist kein "Feel-Good-Thema"

Psychologische Sicherheit ist also kein „Feel Good“ Thema, sondern notwendige Voraussetzung für den Erfolg von Teams. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern auch das Ergebnis der Google Studie „Aristoteles“, im Rahmen derer 180 Teams über 2 Jahre untersucht und begleitet wurden. Psychologische Sicherheit landete im Rahmen dieser Studie auf Platz 1 der Faktoren, die für den Erfolg von Teams ausschlaggebend sind.

Viele Menschen trauen sich nicht, ihre Meinung zu äußern, eine Idee in den Raum zu werfen, die noch nicht vollständig durchdacht ist, oder auch konstruktiv Kritik zu äußern. Die Angst vor der Konsequenz ist zu groß. Was denkt nur meine Führungskraft von mir, wenn ich eine nicht komplett durchdachte Idee präsentiere? Was denken die anderen Teammitglieder von mir, wenn ich diese Frage stelle? Leider ist diese Form der Zurückhaltung der normale Alltag in zahlreichen Unternehmen und Teams.

Und auch ich kann das nur bestätigen, wenn ich an meine ersten Berufsjahre bei der Bundespolizei oder auch an meine ersten Jobs im HR-Umfeld zurückdenke. Oftmals wird top-down kommuniziert oder man hört Sprüche, wie „Ober sticht Unter“. Ein derartiges Verhalten sorgt definitiv nicht für psychologische Sicherheit, das ist sicher. Angst, Unsicherheit und zahlreiche weitere Konsequenzen sind die unabdingbare Folge, wenn psychologische Sicherheit nicht gewährleistet ist.

Wie kann psychologische Sicherheit definiert werden?

Das Beispiel aus der Praxis hat verdeutlicht, wie psychologische Sicherheit entstehen kann. Es geht letztlich darum, die eigenen Bedenken zu äußern, sich sicher zu fühlen, die eigenen Ansichten zu teilen und das frei von der Angst vor Bewertung. Amy Edmondson beschreibt psychologische Sicherheit als ein Gefühl von Sicherheit eines Einzelnen, zwischenmenschliche Risiken einzugehen (Edmondson, 1999). Zusammengefasst bedeutet das, du darfst sein, wer du bist – ohne eine Maske zu tragen oder eine Rolle zu spielen.

Es geht darum, dass ich auch mal eine unkonventionelle Idee äußere, kritisch hinterfrage oder einen Konflikt austragen kann. In einem sicheren Umfeld resultieren daraus weder negative Konsequenzen durch einzelne Teammitglieder, noch durch die Führungskraft. Schuldzuweisungen, Vergeltung oder negative Folgen für die eigene Karriere oder das Selbstbild sind nicht zu befürchten (Edmondson, 1999; Edmondson, 2018).

Aus meiner Erfahrung heraus ist Vertrauen die Basis dafür, dass psychologische Sicherheit überhaupt erst gelingen kann. Denn wenn ich nicht vertraue, dann traue ich mich auch nicht, mich zu zeigen und fühle mich ziemlich sicher nicht sicher. Die meisten Führungskräfte, die selbst noch nie in einem Umfeld tätig waren, welches von psychologischer Sicherheit geprägt ist, tun sich sehr schwer damit, diese im eigenen Team sicherzustellen.

Eines meiner Lieblingszitate im Kontext von psychologischer Sicherheit ist:

“Psychological Safety is about bringing your full self to work” (Edmondson, 2018).

Um unser volles Potenzial ausschöpfen zu können, sollten wir Mensch sein dürfen und uns in unserer ganzen Komplexität & Vulnerabilität zeigen dürfen. Das gilt nicht nur für Teammitglieder, sondern auch ganz besonders für Führungskräfte. Denn diese sollten es ja schließlich vorleben.

Was kann eine Führungskraft tun, um psychologische Sicherheit zu schaffen?

  • Sich selbst vulnerabel zeigen.
  • Wertschätzend agieren.
  • Dem Team „echtes“ Vertrauen schenken.
  • Neugierig sein & Fragen stellen.
  • Auf Augenhöhe kommunizieren.
  • Retrospektiven etablieren.
  • Fehler erlauben.
  • Fuck-Ups implementieren, in denen offen über Misserfolge gesprochen wird, was wiederum den Zusammenhalt stärkt.
  • Regelmäßige Feedback-Prozesse einführen – insbesondere auch „Upward Feedback“, in denen die Teammitglieder der Führungskraft Feedback geben.
  • „Shared Ownership“ – indem gegenseitige Unterstützung, das Teilen und Abgeben von Entscheidungsgewalt, Kontrolle und Macht, sowie gegenseitige Verantwortung gefördert werden.
  • Gemeinsam Team-Werte entwickeln, die psychologische Sicherheit ermöglichen.

Psychologische Sicherheit kurz & bündig:

  • Gegenseitiges Vertrauen ist ein absolutes „must-have“.
  • Nach Hilfe fragen ist gern gesehen – und das ganz ohne, dass die eigene Kompetenz in Frage gestellt wird.
  • Offenes und ehrliches Feedback ist erwünscht.
  • Jeder darf sich mit seiner Meinung einbringen.
  • Eine gute Fehlerkultur, die daraufsetzt, dass Fehler eine Chance für Wachstum sind.

Psychologische Sicherheit basiert also auf gesunden Beziehungen und Vertrauen und ist definitiv kein „Nice-to-Have“ oder „Feel-Good-Thema".

Oder wie siehst du das?

Wenn ich dich und dein Team auf eurem Weg hin zu psychologischer Sicherheit begleiten darf, freue ich mich über deine Kontaktaufnahme.

 

Quellen:

Edmondson, Amy C. (1996). "Learning from mistakes is easier said than done: Group and organizational influences on the detection and correction of human error." Journal of Applied Behavioral Science, 32: 5-32.

Edmondson A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative Science Quarterly, 44, 350–383. http://dx.doi.org/10.2307/2666999

Edmondson, A. C. & Lei, Z. (2014). Psychological Safety: The History, Renaissance, and Future of an Interpersonal Construct. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 1(1) 23-43.

Edmondson, A.C. (2014). Building a psychological safe workplace. Building a psychologically safe workplace | Amy Edmondson | TEDxHGSE - YouTube aufgerufen am 26.03.2024.

Edmondson, A. C. (2018). The fearless Organization: Creating Safety in the Workplace for learning, Innovation and Growth. John Wiley & Sons.

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